Dr. Marius Strubenhoff

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Migration: Wie bewahren wir unsere liberale Gesellschaft?

Deutschland durchlebt herausfordernde Zeiten. Wenige Wochen nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg hat der schreckliche Angriff auf eine Gruppe von Kindern in Aschaffenburg am 22. Januar 2025 das Land in Schock versetzt. Spätestens mit diesem Tag sind einige Gewissheiten infrage gestellt, die die Politik der letzten Jahre geprägt haben.

 

Friedrich Merz, Kanzlerkandidat der CDU/CSU, positionierte sich in den Tagen danach und forderte eine kategorische Einreisesperre für Personen ohne Papiere und permanente Grenzkontrollen. Die Botschaft an die Wählerschaft war klar. Liberale sollten eine Wende in der Migrationspolitik begrüßen. Die FDP steht für mehr Kontrolle in der Einwanderungspolitik und eine Durchsetzung des Aufenthaltsrechts, das nicht nur gelten, sondern auch umgesetzt werden muss.

 

Einwände mit Verweis auf EU-Recht sind zwar richtig, treffen aber nicht den Kern des Problems. Richtig ist, dass die Union gerade aus Wahlkampfgründen andere EU-Staaten gegen Deutschland aufbringt. Richtig ist aber auch, dass es für eine Neuausrichtung der Migrationspolitik auf EU-Ebene im Zweifel immer eine Mehrheit geben wird: In der Vergangenheit stand Deutschland mit seiner Position eher allein. Wer also etwas verändern möchte, der wird dies auf europäischer Ebene durchsetzen können.

 

Doch was bei erstem Betrachten als Übereinstimmung in der Frage nach dem Wie und Was aussieht, entpuppt sich bei längerem Hinsehen als Unterschied in der Frage nach dem Warum und, noch wichtiger, nach dem Wohin.

 

Aus liberaler Sicht ist offensichtlich, dass wir eine Einwanderungsgesellschaft sein und bleiben möchten. Wir bejahen Einwanderung, da wir wissen, dass sie uns als Wirtschaft und Gesellschaft stärker macht. Wir wollen das Aufenthaltsrecht gegenüber straffälligen Ausreisepflichtigen auch deshalb konsequent durchsetzen, weil dies wichtig ist, um die Akzeptanz für unsere Einwanderungsgesellschaft hochhalten.

 

Wir wollen das Aufenthaltsrecht durchsetzen und schwere Kriminelle abschieben, weil wir verstehen, dass es faktische Grenzen in der quantitativen Aufnahmefähigkeit unseres Landes gibt. Wir wollen das Aufenthaltsrecht auch deshalb konsequent durchsetzen, da man eine Chance, die man bekommt, auch vergeben kann. Weil wir in einem solchen Fall Platz machen möchten, um jemanden diese Chance zu geben, der sie auch wirklich wahrnehmen und einen positiven Beitrag zu unserer Gesellschaft leisten möchte. Und weil wir als leidenschaftliche Verfechter des Rechtstaats wissen, aus welchen Gründen die Mütter und Väter des Grundgesetzes das Asylrecht nach dem Zweiten Weltkrieg im Grundgesetz verankert haben.

 

Klar ist deshalb: Mit der Union wäre die Neuausrichtung der Migrationspolitik, die unser Land jetzt braucht, einfacher umzusetzen als mit der SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Wir brauchen und wollen mehr Konsequenz und Durchsetzung. Klar ist jedoch auch: Es braucht eine FDP, die so stark wie möglich ist, um die Frage nach dem Wohin liberal zu beantworten. Nüchtern betrachtet ist klar: Wer generell eine restriktive Einwanderungspolitik fährt, weil er ein grundsätzliches Problem mit unserer Einwanderungsgesellschaft hat, verschärft unsere Herausforderungen noch mehr. Wer sich über die Lohnnebenkosten für Pflege- und Krankenversicherung Gedanken macht, weiß: Auch in Zukunft benötigen wir Fachkräfte, die in unseren Krankenhäusern und Altenheimen nach Kräften unterstützen.

 

Noch wichtiger ist: Die FDP ist diejenige Partei, die die grundsätzlichen Probleme in unserer Innenpolitik durch eine Föderalismusreform angehen möchte, gegen die sich die CDU/CSU seit Jahrzehnten sträubt. Mit jedem Fall wird deutlicher, dass das Behördenwirrwarr in Deutschland eine effiziente Bearbeitung von Fällen und die Weitergabe von Daten verhindert.

 

In Deutschland ist eine rhetorische Veränderung in der Politik festzustellen, die neben der Migrationspolitik auch andere Bereiche betrifft. Es ist gut, dass wir unsere politische Unschuld und teilweise Naivität nun mehr und mehr ablegen. Gleichzeitig laufen wir Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Unsere liberalen Grundsätze wollen und werden wir nicht aufgeben. Marvin Schulz, der für die CDU in Reinickendorf sein Glück bei der Bundestagswahl versucht, interviewte jüngst den Historiker Andreas Rödder zu gesellschaftspolitischen Fragen. Rödder steht für einen entschieden konservativen Kurs seiner Partei und eröffnete in dem Interview, wie sehr ihm die Regenbogenflaggen an deutschen ICEs „auf den Zeiger“ gingen. Bei allem Respekt vor der wissenschaftlichen Leistung Rödders ist dies nicht die Politik, die ich mir für die nächsten vier Jahre für Reinickendorf, Berlin und Deutschland erhoffe.

 

Im Juli 2016 saßen Rödder und ich bei einem Abendessen nach einer wissenschaftlichen Veranstaltung für Nachwuchshistoriker nebeneinander. Wir unterhielten uns interessiert und Rödder fragte mich über meine Erfahrungen in Großbritannien nach dem Volksentscheid über den EU-Austritt des Landes aus. Ein Abend, den ich nicht vergessen werde. Aber so sehr der Abend mir gefiel: Als ich zurück auf meinem Hotelzimmer war, konnte ich doch nachvollziehen, warum sich die Wähler in Rheinland-Pfalz bei der Landtagswahl wenige Monate davor mehrheitlich gegen die CDU und damit dagegen entschieden hatten, Andreas Rödder zum Bildungsminister in einem Kabinett Julia Klöckner zu küren.

 

Unsere Gesellschaft ist dabei, sich rasant zu verändern. In den kommenden Jahren müssen wir die Weichen neu stellen, um weiterhin eine offene Gesellschaft zu bleiben. Eine neue Migrationspolitik gehört zu dieser Neuausrichtung dazu. Gleichzeitig gilt: Vorsicht vor denjenigen, die eine neue Politik deswegen befürworten, weil sie auf eine sehr grundsätzliche Art und Weise in eine andere Richtung steuern möchten.